Getting closer, getting trough ... - Stefanie Grünangerl

Der fahrende U-Bahnzug als Ort ohne Eigenständigkeit existiert in Relation zu anderen Orten, als sich im Raum bewegende Verbindung zwischen diesen. Dieses Dazwischen eines fahrenden Zuges strukturiert unsere Wahrnehmung von in und um das Innere eines Waggons ablaufenden Bewegungen: wir selbst bewegen uns im Inneren des Zuges nur minimal, warten ab bis die Zeit vergeht, die es braucht, damit wir schließlich aus diesem Dazwischen wieder entsteigen können, um eben „wohin“ zu gelangen. Die dunklen Verbindungsröhren des U-Bahnnetzes geben nur äußerst selten - in Form von Haltestellen oder überirdisch verlaufenden Passagen - den Blick frei auf den Raum, den man durchkreuzt. Die den Waggon andernfalls umgebende Dunkelheit lässt diesen zu einem abgeschlossenen Raum werden, Bewegung wird nur durch die beständige Geräuschkulisse des beschleunigenden oder abbremsenden Zugs und das damit verbundene Ruckeln spürbar. Darum auch unsere abwartende Haltung, denn nicht wir sind es die aktiv den Raum durchqueren, sondern der Raum zieht an uns vorüber, zieht uns durch sich hindurch, weswegen die einzig angemessene Reaktion auf diesen Vorgang in einer Mischung aus Passivität, Langeweile und einer gewissen Gelassenheit zu liegen scheint.

Elisabeth Schmirls kleinformatige Malereien verstärken diesen Eindruck der trägen Selbstgenügsamkeit an diesem Zwischenort der U-Bahn noch, indem sie den vorbeirasenden Außenraum gar nicht erst sichtbar werden lassen. Der Raum des Waggons umfängt die Fahrgäste, er weist ihnen ihre Plätze zu, stabilisiert sie in ihrer scheinbaren Ruhe, jedoch zumindest in ihrer passiven Bewegungslosigkeit.

Das Eingespannt-Sein zweier Protagonistinnen zwischen Haltestange im Vordergrund, leuchtend farbiger Sitzfläche zwischen ihnen und billiger Mona-Lisa-Reproduktion an der Rückwand des Waggons; der Griff eines Gepäcksstücks, der sich von unten ins Bild schiebt; eine überdimensionierte Handtasche, die fast schon selbst das eigentliche Bildsujet zu sein scheint; mit gewisser Regelmäßigkeit wiederkehrende ornamentale Anordnungen von Sitzbezügen, Sitzverkleidungen oder sich im rückwärtigen Fenster spiegelnden Haltegriffen - all das sind auf den ersten Blick lediglich auffallende Details, die jedoch viel zum räumlichen Gefüge der Bilder und dessen Erleben beitragen. Interessant auch die Haltung der Figuren: sie ruhen in sich versunken oder schlafend, blicken aneinander vorbei, in stoischer Ruhe aus dem Bild, oder sinnieren mit geistesabwesender Trägheit vor sich hin. Keine von ihnen blickt uns Betrachtende direkt an und keine von ihnen scheint sich ihrer Umgebung bewusst zu sein, ja noch nicht einmal dazu bereit, dieser Umgebung Aufmerksamkeit zu schenken, sie wahrzunehmen und die eigene Position in ihr, die uns als Betrachtende doch so zwingend erscheint, zu reflektieren. Sie befinden sich tatsächlich in einem räumlichen wie zeitlichen Dazwischen, zudem vor dem Erkennen ihrer eigenen Verortung.

In allen Bildern dieser Serie sind die Figuren und mit ihnen das Innere des Zuges der Bewegung durch den Raum, mithin der Schnelligkeit des Vorüberziehens enthoben, jedoch sind sie gleichsam auch nicht vollkommen erstarrt - die Zeit steht nicht still. Die Figuren sind in ihren ruhigen und gelassenen Bewegungen nicht eingefroren, vielmehr funktionieren zeitliche Abläufe im Dazwischen der U-Bahn ähnlich wie im Dazwischen unserer eigenen Bildbetrachtung, denn auch wir, die direkt vor diesen Bildern stehen und sie anblicken, befinden uns in einer eigenartigen „Zwischenzeit“ – zwischen Verweilen/Betrachten und Weiterziehen/Sich Abwenden.

Man stößt schließlich auch an einem traditionellen Ort der Bildbetrachtung – dem Museum – auf Momente des Dazwischen. Was hier tragend wird ist wiederum die Spezifik des Raumes: in seinem Versuch Neutralität zu gewährleisten, zeitlose Ruhe und bedächtige Erhabenheit zu garantieren wirkt der Museumsraum umso eindringlicher und mächtiger auf all das, was er umfasst, in sich sammelt, beherbergt und präsentiert, seien es Kunstwerke, Sitzgelegenheiten oder die ihn durchstreifenden BesucherInnen. Als BetrachterIn gelangt man nie wirklich ans Ziel, sondern scheint immer auf der Durchreise zu sein. Elisabeth Schmirls Bilder arbeiten mit diesen Raum- und Zeiterfahrungen des Museumsraumes, konfrontieren ihn mit seinem Inhalt - den Kunstwerken - aber vor allem mit seinen BesucherInnen.

Die Beschreibung des Raumes ist oft auf ein Minimum reduziert, was ihm in seiner Strategie der Zurücknahme und des Nicht-Einmischens noch entgegen zu kommen scheint. Etwa dann, wenn lediglich eine dünne, die Wand vom Boden abgrenzende Linie ausreicht, um den weißen Raum entstehen zu lassen, und er sich somit in der malerischen Bearbeitung der weißen Umgebung vollzieht. Umso klarer hebt sich an der Wand eine von Frank Stellas shaped canvases ab, und wirkt in ihrer Farbigkeit und klaren Geometrie als in ihrer maximalen Präsenz wiedergegeben. Ihre Spiegelung im Fußboden scheint diesen erst richtig zu erschaffen, und genau hier kann man die gegenseitige Bedingtheit von räumlicher Hülle und deren Inhalt beobachten. Die drei an dieser wechselseitigen Abhängigkeit vorbeiziehenden BetrachterInnen wirken wie hineingesetzt in diese Szenerie, in die unbestimmbare Räumlichkeit des Museums. Sie finden sich in einem eigenartigen Schwebezustand wieder, aber immer noch in einem des bedächtigen Vorüberziehens, zumal sie weder dem Ort noch dem Bild ihre staunende Aufmerksamkeit schenken. Sie sind nicht so fix an diesen Ort gebunden wie der Stella, bleiben an ihm nicht bis in alle Ewigkeit, jedoch auch ohne absehbares Ende.

So ist es wiederum eine Strategie des Abwartens und des bedächtigen Durchstreifens, die die Figuren verfolgen: keine scheint sich sonderlich für ihre Umgebung zu interessieren - man blickt aus dem Bild, nicht auf die sichtbar werdenden Kunstwerke. Vielleicht auf andere, aber dies auch nur im Vorbeigehen. Schmirls Umgang mit der Farbe und hier vor allem die Bearbeitung der vielen weißen Flächen, spiegelt gleichsam ihr stärker werdendes und bereits in den U-Bahn-Bildern anklingendes Interesse für spezifische Lichtsituationen wider. Die sich über die Bilder legende Helligkeit die mancherorts zum Verschwimmen des Hintergrunds führt, bewirkt zugleich diese Atmosphäre des Dazwischen, des Wartens, Durchquerens, Durchziehens, Durchstreifens eines Ortes ohne diesen je als solchen anzuerkennen, des zeitlichen Schwebezustands zwischen Voranschreiten der Zeit mit klarem Anfang und klarem Ende und diffuser Zeitenthobenheit.

Die malerische Auseinandersetzung mit diesem Licht und seinen Qualitäten setzt sich in der Mardi Gras 1972 Serie fort. Eine eigenartige Helligkeit, wie ein gleißendes Licht, legt sich über alle Bilder und erzeugt den Eindruck, als wären die Malereien in ihrer Farbenfreude ausgebleicht. Vor allem in einem Bild mit einer auf einer Fensterbank sitzenden jungen Frau (?) wird dies deutlich: sie scheint sich selbst vor dem grellen Licht schützen zu müssen, indem sie ihre Augen mit den Händen zu bedecken versucht; der hinter ihr gelegene Raum bleibt jedoch absolut dunkel, hinterfängt sie und hebt sie in ihrer weißen Helligkeit umso klarer hervor. Ein junges als Adam und Eva verkleidetes Pärchen scheint sich durch das strahlende Licht in seiner nackten Körperlichkeit bereits selbst aufzulösen und auch die einst farbenprächtigen Draperien und Fahnen hinter einem jungen, androgynen Afroamerikaner wirken in ihrer Farbigkeit wie ausgewaschen. Die Übernahme des ausgeblichenen Charakters der fotografischen Vorlagen in Schmirls Malerei bewirkt zugleich, dass ein spezifisches Moment des Vergehens, der (weit) zurückliegenden Vergangenheit in unseren Blick gerät. Diese Bilder sprechen in ihrer Ambivalenz von lebensfroher Farbigkeit und gleißender Lichtsituation von der gaieté vergangener Tage, der wir nicht direkt, sondern eben nur vermittelt durch diese Ausgeblichenheit des Vergangenen habhaft werden können.

Das Wechselspiel von Licht, Raum und Zeit tritt uns schließlich allein entgegen. Zwei Bilder zeigen Innenräume – Arbeitsecke und Waschraum: diese Räume sind klar umrissen, öffnen sich lediglich nach vorne, hin zu den Betrachtenden. Die einzige Lichtquelle ist prominent ins Bild gesetzt, allerdings trotz ihrer strahlenden Helligkeit nicht dazu fähig den Raum gleichmäßig und vor allem hell auszuleuchten. Insbesondere der Waschraum bleibt düster, ja bedrohlich, was das grelle Licht der Neonröhre eher noch zu verstärken scheint als dagegen anzukämpfen. Einzig und allein das Waschbecken und die daneben abgelegte Zahnpastatube reflektieren das kalte Licht in ebenso kaltem Weiß zurück. Auch der Lichtkegel der über dem Arbeitsplatz angebrachten Lampe erleuchtet neben der Wand vor allem den Laptop. Dessen Bildschirm bleibt jedoch tiefschwarz, nicht einmal Spiegelungen oder Lichtreflexionen gibt er wieder, er schluckt das Licht wie ein schwarzes Loch. Zwar ist man sich bewusst, dass vor Kurzem hier noch jemand war – der aufgeklappte Laptop, die ausgedrückte Zahnpastatube, das brennende Licht… -, dass dieser jemand zurückkommen wird, doch präsentieren diese beiden Räume sich jetzt in ihrer Verlassenheit, ihrer Stille, ihrer Bedrohlichkeit, ihrem zeitlichen Angehaltensein. Das Dazwischen wird zum Ort, der Raum greift, dem man nicht so schnell entkommt - schlussendlich findet es doch seinen Ort und seine Zeit.