NOpening: 1. März, 11-19 Uhr
Ausstellungsdauer: 1. April - 12. Juni 2021
Die Ausstellung während der Laufzeit entsprechend den Covid-Regeln besichtigt werden. Bitte hierzu um Kontaktaufnahme mit der Galerie oder der
Künstlerin.
Weiter zu den Arbeiten
Galerie Sophia Vonier
Wiener-Philharmoniker-Gasse 3
A-5020 Salzburg
www.galerievonier.com
VOID VOLUME - Elisabeth Schmirl
traum vom luft in der luft sein“¹ Im Seil- und Turmspringen trifft das Abwägen der aktuellen Verhältnisse auf die konkrete Planung. Gilt dies hier für den Sprung, könnte man es ebenso als politische Metapher lesen. Wo in Elfriede Gerstls eingangs zitierter Zeile der Wunsch nach Auflösung laut wird, sind es bei Elisabeth Schmirl konkrete Körper, die in dieser Spannung existieren.
„Was sind die Wolken?“² , fragt die Marionette Othello eine andere in Pasolinis gleichnamigen Kurzfilm, während sie in den Himmel blicken – und bekommt keine Antwort. Weil Worte nicht das fassen können, was ist. Der philosophische Konflikt ergibt sich im Film mitunter aus dem Klassen- und Wissensunterschied zwischen proletarischem Publikum des Marionettentheaters und dem künstlerischen Anspruch. Was hier ausgehend von der Differenz im sozialen Status thematisiert wird, verlagert sich heute auf eine ökonomische Ebene. Elisabeth Schmirls Arbeiten verweisen mit der Verwendung einer historischen Fotografie auf dem Zusammenhang zwischen Weltwirtschaftskrise und dem Aufkommen der sogenannten „Hoovervilles“, Elendsvierteln in den USA, und damit auf die enge Verbindung von Ökonomie und Lebensumständen. Die Börsenspekulation als fehlgeschlagene Berechnung wirtschaftlicher Entwicklungen manifestierte sich in diesen Gebäuden. Sind solche unvorhersehbaren Auswirkungen heute allgegenwärtig, bleibt doch die Grundannahme der rationalen Berechenbarkeit der Zukunft bestehen. Elisabeth Schmirl greift mit der Diazotypie für ihre Arbeiten eine bis in die 1990er stark verbreitete Technik zum Kopieren von Grundrissen und Bauplänen auf und kehrt dadurch die Idee der Planbarkeit in ihr Gegenteil: nicht die Präzision und die Maßstabstreue interessieren sie, sondern das Ungewisse dieser Technik, das sich aus der UV-Empfindlichkeit des Materials ergibt. Wolken, Nebel oder Rauch stellen das bildliche Pendant zu dieser Technik dar. Stärker noch als in der Frage Othellos werden diese Elemente fragwürdig: als Verschleiern des Bildes, als Offenheit, als Leerstelle, als Spur.
„A new morning – the weather‘s changing”³ Diffus stellt sich eine weitere Frage: Warum sind es stets Frauen, die die Wetterballons halten? Dieses Sujet, das mehrfach in Elisabeth Schmirls Arbeiten auftaucht, war aktuell auch im Alltag wieder öfter zu sehen. Die mittlerweile standardmäßig durch den Flugverkehr gelieferten Wetterdaten wurden während der Pandemie weniger, weshalb Wetterballons für Messungen häufiger zum Einsatz kamen. Gerade jetzt diese Objekte zu zeigen und die Aufgabe der Zukunftsvorhersage in die Hände von Frauen zu legen, wirkt wie eine Ermächtigung. Ist doch klischeehaft, trotz aller entgegengesetzten Bemühungen, das Rationale und Berechenbare in Richtung des männlichen Pols gerückt, während dem Femininen Mystik, Magie und Unvernunft zugeschrieben werden. Der stärkste Verweis darauf liegt in den verbundenen Augen einer der Figuren. Gleichzeitig trifft dies aber auf die besondere Klarsicht des Orakels zu, welches gerade durch Blindheit das Irrationale mit der sich erfüllenden Voraussicht verbindet. Die Frauen mit Wetterballons, wie schon die Wolken, schlagen eine Brücke zwischen scheinbaren Gegensätzen; machen das vorgeblich Rationale unklarer und das Unvorhersehbare zum Teil unserer Welt.
„Die Spur ist die Gegenwart dessen, was eigentlich niemals da war, dessen was immer vergangen ist.“⁴ Architekturen als Spuren menschlicher Entscheidungen verkörpern die zerstörerische Kraft des Rationalen ebenso wie den Glauben an die Planbarkeit und Spekulation mit der Zukunft. In Elisabeth Schmirls Arbeiten werden sie verschleiert und unklar, Wolken, Staub und Nebel, welche als eine nicht nachvollziehbare Spur dieses Gefüge einer erklärbaren und berechenbaren Welt stören. Die Vorhersage des Wetters, die Planung eines Sprungs sind demgegenüber Metaphern der Leichtigkeit, die die Ungewissheit des Planens wie auch die Offenheit von Spuren, alles zu sein und immer neu gedeutet zu werden, in sich tragen. Der Sprung, der Wetterballon, Wolken – sie alle weisen in Richtung eines utopischen Denkens, in das sich stets die konkreten Spuren unseres Handelns einschreiben.
Text: Maximilian Lehner
1 Elfriede Gerstl: "traum vom luft in der luft sein", 11.3.2009; in: "lebenszeichen", Graz 2009, S. 182.
2 Pier Paolo Pasolini: "Che cosa sono le nuvole", 1968 (Eine Episode aus "Capriccio all’italiana", produziert von Dino de Laurentiis).
3 The (International) Noise Conspiracy: "A New Morning, Changing Weather", 2001.
4 Emmanuel Lévinas: "Die Spur des Anderen", Freiburg 1983/2007, S. 233.
Kommentar schreiben